Vor einiger Zeit nahm ich an einer Veranstaltung des Production Innovations Network (PIN) teil. In einer Vortragssession kam es dabei zu einer Diskussion zwischen meinem damaligen Professor und einem Veranstaltungsteilnehmer aus Palo Alto. Mein Professor war der Meinung, dass es unabhängig der Digitalisierung immer noch darauf ankomme, dass die Maschine ordentlich fertigt. Der Veranstaltungsteilnehmer sah das anders. Er vertrat die Ansicht, dass irgendwann, auch bei der Maschine, die Digitalisierungsfunktionen DAS Kaufargument für den Kunden darstellen würden. Die Auseinandersetzung ist mir im Kopf geblieben und verleitet mich dazu, der Frage nachzugehen. Kann es wirklich soweit kommen, dass ein Kunde eine Maschine nur noch wegen seiner Software kauft, selbst wenn sie Kernfunktionen, wie das eigentliche Fertigen, nicht mehr hinreichend erfüllt? Tatsächlich gibt es eine Produktgruppe, bei der ein solcher Wandel stattgefunden hat. Und wir alle haben diesen Wandel mitgemacht.
Messagingdienste ersetzen das Telefonieren beim Handy
Wann hatte Ihr Handy das letzte Mal keinen Empfang? Heute? Gestern? Die Empfangs- und Sendeleistung unserer Smartphones lässt oft zu wünschen übrig und kann in Randgebieten lästig sein. Von meinem alten Nokia 6110 (von dem mir viele Menschen sagen, es sei das beste Handy aller Zeiten gewesen), kannte ich so häufige Netzausfälle nicht und dass, obwohl zur damaligen Zeit die Netzdichte der Provider geringer war. Dazu hielt der Akku wesentlich länger. Ein bis zwei Wochen waren Standard. Heute bin ich froh, wenn ich mit dem Akku über den Tag komme. Die Sprachqualität war auch besser (bilde ich mir jedenfalls ein). Empfangsstärke, Akkulaufzeit und Sprachqualität galten damals als Kernmerkmale für Handys.
Und heute? Wenn ich den damaligen Bewertungsstandard auf mein Smartphone anwende müsste, würde ich sagen: Ich habe mir ein schlechtes Telefon gekauft, das nicht mal die grundlegenden Kriterien erfüllt. Aber Kameraqualität und Speichergröße sind mir heute wichtiger. Sind die fehlenden Grundfunktionen schlimm? Nicht zwingend. Mein Handy kann ich heute überall laden. Wenn ich kein Netz habe, ist das nächste WLAN nicht weit. Aber am Wichtigsten ist: Messagingdienste haben an vielen Stellen den Telefonanruf ersetzt. Die Digitalisierung macht damit DIE Kernfunktion eines klassischen Handys ein Stück weit obsolet.
Kann das bei der Werkzeugmaschine auch passieren? Durch Digitalisierung allein fällt schließlich noch kein Span vom Rohteil ab. Vermutlich werden daher in unserer Branche die Kernfunktionen einer Maschine weiterhin eine wichtige Rolle spielen – allerdings im Einklang mit den Digitalisierungsfunktionen. Auch dafür gibt es ein gutes Beispiel.
Infotainment ist ein entscheidendes Kriterium beim Autokauf
Ein Produkt, bei dem sich das Kaufverhalten durch Digitalisierung ebenfalls verändert hat, ist das Auto. Nachfolgend blenden wir einmal aus, dass beim Autokauf auch die Emotion eine große Rolle spielt. Das Infotainment ist, als Entscheidungskriterium, heute gleichwertig gegenüber den Kernkriterien eines Autos, wie Leistung oder Verbrauch. Das Gesamtpaket bildet die Entscheidungsgrundlage. Allerdings können Digitalisierungsfunktionen ein K.O.-Kriterium darstellen. Es gibt Kunden, die ein bestimmtes Modell, das in seinen Kernfunktionen völlig solide ist, aufgrund schlechter oder sogar fehlender Infotainmentfunktionen nicht kaufen. Dass aber die Digitalisierungsfunktionen allein als Entscheidungsgrundlage dienen ist unwahrscheinlich. Am Ende braucht es immer noch einen Motor, der die Räder dreht.
Eine gleiche Entwicklung sehe ich für die Produkte im Maschinenbau. Kernfunktionen spielen weiter eine wichtige Rolle. Sind beim Maschinenkauf zwei Produkte in ihren Kernfunktionen gleichwertig, kann Digitalisierung zunächst das Zünglein an der Waage sein. Insgesamt entscheidet aber das Gesamtpaket. Dass alle Hersteller in den Kernfunktionen gleich gut sind und ich nur noch auf Digitalisierung achten muss, ist noch lange nicht in Sicht. Dazu gibt es im Maschinenbau zu viele Spezialisierungsrichtungen. Digitalisierungsfunktionen als K.O.-Kriterium sehe ich bereits heute, z. B. bei Maschinen die keine Möglichkeiten zur Konnektivität bieten.